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Erschöpfung der Frauen – Ein Text aus dem Herzen

In den letzten Jahren durfte ich viele Frauen im 1:1 begleiten. Jede Begegnung beginnt mit einer Anamnese – nicht als medizinisches Pflichtprogramm, sondern als Türöffner in das Leben, den Körper und die Geschichte der Frau, die mir vertraut. Ich möchte sie sehen. Ganz. Und es gibt eine Sache, die mir dabei immer wieder begegnet – so oft, dass ich es nicht mehr übersehen kann: Erschöpfung. Tiefe, stille, allumfassende Erschöpfung.


Nicht die Art von Müdigkeit, die man mit einer Nacht gutem Schlaf ausgleicht. Sondern eine tieferliegende Erschöpfung, die sich im ganzen Körper bemerkbar macht – im Nervensystem, im Denken, im Gefühl. Sie zeigt sich nicht nur äusserlich, sondern auch in Antriebslosigkeit, Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten. Viele Frauen funktionieren im Alltag so zuverlässig, dass sie kaum noch wahrnehmen, wie sehr sie sich von ihrem inneren Gleichgewicht entfernt haben.


Das macht uns traurig, gereizt, krank… und erschöpft. Was läuft da falsch?


Natürlich gibt es strukturelle Gründe: Das Patriarchat, die Doppelbelastung, unausgeglichene Rollenverteilungen. Doch es ist mehr. Ich sehe auch, dass viele Frauen sich von ihrer eigenen Natur entfremdet haben. Unser Körper spricht mit uns – durch Symptome, durch Empfindungen. Doch wir hören nicht zu. Stattdessen übertönen wir ihn mit Koffein, Alkohol, Medikamenten, Social Media.


Für viele Frauen ist Erschöpfung ein alltäglicher Begleiter.
Für viele Frauen ist Erschöpfung ein alltäglicher Begleiter.

Viele Frauen leben in permanenter Spannung – äusserlich freundlich, innerlich zerrissen. Sie stemmen Haushalt, Job, Kinder, Partnerschaft. Gleichzeitig kämpfen sie mit Schlafstörungen, Verdauungsproblemen, Hautthemen, hormonellen Schwankungen, Stimmungstiefs. Und sie fragen sich irgendwann: Was stimmt nicht mit mir?

Meine Antwort ist: Nichts. Mit dir ist nichts falsch. Aber mit dem System, in dem wir leben, stimmt einiges nicht. Und – was noch viel wichtiger ist – wir haben verlernt, auf unser inneres System zu hören.


Wir wundern uns über Vitamin-D-Mangel, aber verbringen 90 % unserer Zeit in geschlossenen Räumen. Wir wundern uns über Schlafstörungen, verbringen unsere Abende aber vor Bildschirmen. Wir wundern uns über hormonelle Probleme, aber unterdrücken unseren Zyklus mit künstlichen Hormonen. Wir wundern uns über emotionale Erschöpfung, übernehmen aber weiterhin den Löwenanteil an Care-Arbeit – oft zusätzlich zu einem anspruchsvollen Beruf.


Wir sind darauf trainiert zu funktionieren. Stark zu sein. Uns nichts anmerken zu lassen. Aber das ist nicht unsere Natur.

Ich glaube, wir Frauen sind nicht dazu gemacht, linear zu funktionieren. Wir sind launisch. Wir sind emotional. Wir sind sensibel. Unsere Hormone verändern sich – täglich. Und das ist keine Schwäche. Es ist unsere Weisheit.

Die Natur hat es so eingerichtet, dass wir nicht immer gleich sind. Dass wir Zeiten haben für Leistung und Zeiten für Rückzug. Dass wir Nähe suchen und wieder Freiraum brauchen. Dass wir in bestimmten Phasen sehr kraftvoll sind – und in anderen verletzlich. Aber beides ist heilig.


Es ist kein Zufall, dass ich diesen Text in meiner Lutealphase schreibe – dem inneren Herbst. Ich bin gerade sehr nah bei mir. Letzte Woche, rund um den Eisprung, habe ich einen Artikel über Intervalltraining verfasst. Leistungsorientiert, fokussiert. Siehst du den Unterschied? Das ist zyklisches Leben.


Ich glaube, es braucht mehr Verständnis für diese natürlichen Rhythmen – nicht nur im Aussen, sondern vor allem in uns selbst. Statt unseren Körper ständig zu ignorieren, könnten wir lernen, ihn zu beobachten. Zu fragen: Was brauche ich gerade? Was zeigt mir mein Körper? Was will ernst genommen werden?

Was wäre, wenn all das – die Erschöpfung, die Stimmungsschwankungen, die körperlichen Signale – kein Fehler wären, sondern ein Aufruf zur Rückkehr? Ein Aufruf, wieder in Verbindung zu treten mit unserem Körper, unserem Rhythmus, unserer Natur?


Was passiert, wenn wir diese natürlichen Schwankungen pathologisieren? Wenn wir in jeder emotionalen Tiefe eine Depression vermuten? Wenn wir Frauen nach der Geburt nicht erlauben, zu trauern über das, was sie verloren haben – sondern ihnen lieber gleich ein Label wie „postpartale Depression“ geben? Was passiert, wenn wir in den Wechseljahren nicht sehen, dass Frauen sich neu sortieren, Grenzen ziehen, ihr Leben hinterfragen – sondern ihnen stattdessen Hormone geben, um „wieder zu funktionieren“?


Wir dürfen lernen, unsere Stimmungsschwankungen nicht als Fehler zu sehen, sondern als Zeichen. Als Einladung zur Selbstbeobachtung. Unser Körper verändert sich – nicht nur im Monatsverlauf, sondern auch über die Jahre. Was mit 20 funktioniert hat, klappt mit 35 oder 40 nicht mehr gleich. Und das ist okay. Veränderung ist kein Scheitern. Veränderung ist Leben.


Was ich mir wünsche? Dass Frauen wieder lernen, auf ihr Inneres zu hören. Dass wir die Natur in uns entmystifizieren, um sie wieder zu verstehen. Denn unser Körper ist klug. Symptome sind Wegweiser. Lass uns wieder zuhören.


Wenn du Unterstützung brauchst – schreib mir. Wir finden gemeinsam den Weg, der zu dir passt.

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