Wenn es um das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit von Frauen im Sport geht, ist eines klar: Krafttraining ist unentbehrlich. Trotzdem stößt diese Nachricht bei vielen Läuferinnen auf taube Ohren. Doch die Fakten sind unmissverständlich.
Im Laufe der Zeit verlieren wir Muskelmasse, insbesondere ab dem 30. Lebensjahr. Etwa 3% bis 8% schwinden pro Jahrzehnt, und nach dem 50. Lebensjahr kann der Verlust sogar 5 bis 10% betragen. Frauen, insbesondere in den Wechseljahren, sind von diesem Abbau stark betroffen.
Ausdauersportlerinnen sind besonders gefährdet
Ausschließliches Laufen, besonders wenn es in hoher Intensität und ohne ergänzendes Krafttraining durchgeführt wird, kann bei Frauen zu Muskelabbau führen. Hier sind einige Gründe dafür:
Fehlende muskuläre Reize: Laufen allein stimuliert hauptsächlich die Ausdauer und weniger den Muskelaufbau. Ohne Krafttraining erhalten die Muskeln nicht die nötigen Reize, um zu wachsen oder sich zu erhalten.
Kalorienverbrauch und Ernährung: Laufen verbrennt viele Kalorien. Wenn die Kalorienzufuhr nicht ausreichend ist, um diesen Verbrauch auszugleichen, kann der Körper Muskelgewebe abbauen, um Energie zu gewinnen. Dies kann besonders problematisch sein, wenn die Ernährung nicht genügend Protein und Kohlenhydrate enthält.
Hormonelle Effekte: Intensive Ausdauerbelastungen können den Cortisolspiegel erhöhen. Cortisol ist ein Stresshormon, das den Abbau von Muskelgewebe fördern kann. Frauen haben tendenziell höhere Cortisolspiegel als Männer, was den Muskelabbau bei ausschließlichem Ausdauertraining zusätzlich begünstigen kann.
Geringere Muskelmasse bei Frauen: Frauen haben im Allgemeinen von Natur aus weniger Muskelmasse und eine höhere Fettmasse als Männer. Dadurch kann der Muskelabbau bei ihnen schneller sichtbar werden.
Alleiniges Ausdauertraining ohne ergänzendes Krafttraining führt längerfristig zu einer verlangsamten Stoffwechselrate und vermehrter Fettzunahme um den Bauch. Spätestens in den Wechseljahren bemerken viele Frauen eine Veränderung ihrer Körperzusammensetzung. Darüber hinaus geht der Muskelabbau mit einem höheren Verletzungsrisiko bei Läuferinnen einher.
Um Muskelabbau zu verhindern, ist es wichtig, Laufen mit Krafttraining zu kombinieren und auf eine ausgewogene Ernährung zu achten, die ausreichend Proteine und Kalorien enthält.
Wie trainiere ich richtig?
Bisher wurde behauptet, dass schwere Gewichte maximale Kraft verbessern, moderate Gewichte Muskelwachstum fördern und leichte Gewichte Ausdauer steigern. Doch neue Forschung stellt diese Theorie teilweise infrage. Es gibt Hinweise darauf, dass Muskeln sich über verschiedene Gewichtsbereiche hinweg gut anpassen können (Schoenfeld et al., 2021).
Training mit hohen Gewichten ist im Trend
Vor allem Frauen in den Wechseljahren und in der Menopause wird oft empfohlen, schwere Gewichte mit weniger Wiederholungen zu heben. Der Hintergrund dieser Empfehlung liegt in den hormonellen Veränderungen, die den Muskelabbau beschleunigen. Das Training mit schweren Gewichten soll dabei einen starken Stimulus setzen, um Muskelmasse und -kraft zu erhalten. Typischerweise werden 1-5 Wiederholungen pro Satz durchgeführt, gefolgt von Pausen von 2-5 Minuten, um eine vollständige Erholung zu gewährleisten. Dabei werden oft Übungen empfohlen, die mehrere Muskelgruppen ansprechen wie Deadlifts, Squats und Lunges.
Solche Übungen, die mehrere Muskelgruppen gleichzeitig ansprechen, werden oft als "compound exercises" bezeichnet.
Die Methode weckt den Anschein, dass Frauen schwere Gewichte heben MÜSSEN, um Resultate zu erzielen. Aber stimmt das wirklich?
Die Nachteile vom Training mit schweren Gewichten für Läuferinnen
Trotz der Vorteile sehe ich auch erhebliche Nachteile, die das Training mit schweren Gewichten für Läuferinnen unpraktisch und riskant machen:
Zeitaufwand fürs Fitnessstudio: Entsprechende Geräte für schweres Krafttraining haben die allermeisten nicht zu Hause. Der Weg ins Fitnessstudio erfordert Zeit und Planung, was für viele Frauen mit einem vollen Terminkalender, familiären und sozialen Verpflichtungen schwer zu bewältigen ist.
Verletzungsgefahr: Schweres Gewichtheben birgt ein höheres Verletzungsrisiko, insbesondere bei unsachgemäßer Ausführung. Dies reicht von Muskelzerrungen bis hin zu schwereren Gelenkverletzungen. Ohne professionelle Anleitung fällt es vielen schwer, die Technik korrekt zu erlernen und beizubehalten.
Ineffizientes Training: Die Gefahr von "compound exercises" ist, dass man zwar viele Muskelgruppen gleichzeitig anspricht, jedoch die einzelne Muskelgruppe zu wenig Reize erhält um Muskelwachstum zu erzielen. Für viele Menschen sind spezifische Isolationsübungen notwendig, um gezielte Muskelgruppen zu trainieren, die durch Compound-Übungen möglicherweise nicht ausreichend stimuliert werden.
Es braucht keine schweren Gewichte!
Hypertrophie-Training, das typischerweise höhere Wiederholungszahlen und moderate Gewichte umfasst, wird oft als weniger effektiv für Frauen betrachtet. Aktuelle Studien zeigen, dass auch moderate Gewichte und höhere Wiederholungszahlen effektive Ergebnisse liefern können, solange die Sätze nahe am Muskelversagen sind (Iversen et al., 2021). Der Schlüssel liegt darin, dass die letzten Wiederholungen eines Satzes sehr herausfordernd sind und somit die großen, kraftvollen Muskelfasern stimuliert werden. Muskelwachstum entsteht durch mechanische Überlastung, die nicht zwingend durch schwere Gewichte erreicht werden muss. Auch Körpergewichtsübungen können eine ausreichende Belastung bieten, solange der Muskel genug herausgefordert wird. Du kannst also auch mit moderaten Gewichten trainieren, solange du die entsprechenden Punkte beachtest:
Muskelversagen: Trainiere bis nahe zum Muskelversagen, insbesondere in den letzten Wiederholungen jedes Satzes. Dies stellt sicher, dass du die großen, kraftvollen Muskelfasern ausreichend stimulierst. Dazu solltest du nicht länger als 90 Sekunden benötigen.
Sets pro Woche: Führe mindestens vier Sätze pro Woche pro Muskelgruppe durch, um signifikante Muskelzuwächse zu fördern. Verteile diese Sätze gleichmäßig über deine Trainingseinheiten.
Proteinaufnahme: Achte auf eine ausreichende Proteinaufnahme, da Proteine die Bausteine für Muskelgewebe sind. Ziel ist es, etwa 1,6 bis 2,2 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht täglich zu konsumieren.
Übertraining vermeiden: Achte darauf, dass du genügend Erholungsphasen zwischen den Trainingseinheiten einhältst, besonders wenn du auch intensives Lauftraining betreibst. Übertraining kann zu Muskelabbau statt -aufbau führen.
Krafttraining mit Lauftraining kombinieren:
Viele Frauen stehen vor der Frage, wie sie das Krafttraining in ihren ursprünglichen Trainingsplan integrieren. Dabei empfehle ich folgendes: Um Krafttraining effektiv mit Lauftraining zu kombinieren, gibt es zwei bewährte Ansätze.
Der erste besteht darin, regelmäßig Krafttraining in den Trainingsplan zu integrieren. Indem du spezifische Übungen für verschiedene Muskelgruppen einbaust, kannst du deine Kraft, Ausdauer und Leistung beim Laufen verbessern. Es ist übrigens ein Mythos, dass Krafttraining und Ausdauertraining konkurrieren. Eine aktuelle Übersichtsarbeit hat folgendes gezeigt: Gleichzeitiges aerobes Training und Krafttraining beeinträchtigt nicht das Muskelwachstum und die maximale Kraftentwicklung. Nur bei der Schnellkraft konnten gewisse negative Effekte festgestellt werden. Zur Sicherheit empfehlen Experten und Expertinnen zwischen Kraft- und Ausdauertraining einige Stunden Pause einzuhalten (Schuman et al., 2022).
Der zweite Ansatz ist das Blocktraining: Du kannst bestimmte Monate des Jahres dem Krafttraining und Muskelaufbau widmen, gefolgt von Phasen, in denen der Fokus wieder auf dem Lauftraining liegt. Diese abwechselnden Phasen ermöglichen es dir, deine Trainingsziele gezielt zu verfolgen und sowohl Kraft als auch Ausdauer optimal zu entwickeln.
Beiden Ansätzen ist aber gemein, dass Kraftaufbau nur funktioniert, solange ausreichend Regeneration vorhanden ist.
Meine Empfehlung: Übungen für zu Hause
Aufgrund der Nachteile des schweren Gewichtstrainings gebe ich viele meiner Kundinnen konkrete Anweisungen für Krafttraining, das sie bequem zu Hause durchführen können und helfe ihnen ihre Woche zu strukturieren, um ein Übertraining zu vermeiden. Diese Übungen sind genauso effektiv und werden oftmals konsequenter durchgeführt, da die Zeit und Organisation für den Besuch eines Fitnessstudios entfällt.
Letztlich kommt es auf Kosten und Nutzen an. Wenn du gerne mit schweren Gewichten trainierst, es gerne tust und konsequent dabei bleiben kannst, möchte ich dich keineswegs davon abhalten! Wichtig ist für Läuferinnen nur, dass sie das Krafttraining in ihren Trainingsplan integrieren.
Dieser Blogartikel ist ein Ausschnitt aus meinem Guide: "Lauftraining für Frauen", den du im Shop erwerben kannst.
Quellen
Iversen VM, Norum M, Schoenfeld BJ, Fimland MS. No Time to Lift? Designing Time-Efficient Training Programs for Strength and Hypertrophy: A Narrative Review. Sports Med. 2021 Oct;51(10):2079-2095.
Schoenfeld BJ, Grgic J, Van Every DW, Plotkin DL. Loading Recommendations for Muscle Strength, Hypertrophy, and Local Endurance: A Re-Examination of the Repetition Continuum. Sports (Basel). 2021 Feb 22;9(2):32.
Schumann M, Feuerbacher JF, Sünkeler M, et al. Compatibility of Concurrent Aerobic and Strength Training for Skeletal Muscle Size and Function: An Updated Systematic Review and Meta-Analysis. Sports Med. 2022;52:601-612.
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